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Hochparterre 8/2007

Architektin: mit Kind, ohne Arbeit
Berufstätige Architektinnen mit Kindern sind noch immer die Ausnahme in der Schweizer Bürolandschaft. Die wenigsten Ateliers bieten Müttern Arbeitspensen an, neben denen die Familie noch Platz hat. Viele Frauen wandern deshalb nach der Geburt eines Kindes in verwandte Bereiche ab. Auf der Suche nach Teilzeitstellen in Schweizer Architekturbüros.

Nach dem langen und intensiven Architekturstudium gehört es zum guten Ton, in verschiedenen Büros Berufserfahrung zu sammeln. Die meisten Architekten und Architektinnen machen das mit dem Ziel, ein eigenes Atelier zu gründen, in dem dann der Verwirklichung der eigenen Ideen nichts mehr im Wege steht. Diese Entwicklung verläuft aber bei Frauen und Männer unterschiedlich, denn irgendwann in ihren Dreissigern verschwinden viele Architektinnen aus den Büros. Die Statistik zeigt diesen Bruch deutlich: An der ETH Zürich sind heute 45 Prozent der Studierenden der Architektur Frauen, während im Jahr 2000 der Frauenanteil im Architekturberuf gerade mal zwölf Prozent ausmachte. Christina Schumacher, Dozentin für Soziologie an der Architekturabteilung der ETH Zürich, hat in ihrer Forschungsarbeit ?Zur Untervertretung der Frauen im Architekturberuf? festgestellt, dass diese ungleiche Verteilung branchenspezifisch ist: Beispielsweise sind in Rechts- und Medizinberufen ? bei ähnlichem Frauenanteil im Studium ? in der Praxis annähernd doppelt so viele Frauen vertreten.
Gründe dafür sind im traditionell männerdominierten Architekturgewerbe sowie im ständigem Zeit- und Kostendruck der Baubranche zu finden, aber auch gesellschaftliche Geschlechterbilder scheinen eine Rolle zu spielen. Sie zeichnen sich heute oft erst zum Zeitpunkt der Familiengründung ab. «Denn in der Arbeitswelt sind berufstätige Mütter eine Provokation. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Kind tatsächlich krank wird. Es genügt, dass die Mutter dazu bereit wäre, auf etwas Rücksicht zu nehmen, das mit der Arbeit nichts zu tun hat.», schreibt Sieglinde Geisel dazu in der NZZ. Gerade für die sich in der Regel als fortschrittlich definierenden Architekten ist die Infragestellung des Architektur-Arbeitsethos ? also dass Architektur eine Berufung ist, neben der alles andere zurücksteht ? durch das banale Private der eigentliche Skandal. So möchte etwa der junge Architekt Christoph Gantenbein niemanden neu Teilzeit anstellen, denn eine solche Bewerbung lege für ihn ein zu starkes Gewicht auf per-sönliche Bedürfnisse neben der Arbeit. Um ihre architektonischen Ziele zu erreichen, sind Christ & Gantenbein auf Mitarbeiter angewiesen, die bereit sind, mit fast unbegrenztem Einsatz Höchstleistungen zu erbringen. Der Architekt räumt jedoch ein, dass im Falle einer Schwangerschaft einer Angestellten auf jeden Fall Lösungen gesucht würden, um sie weiter beschäftigen zu können.

Familie als Teil des Büros
Dass sich Beruf und Familie im Architekturbüro unter einen Hut bringen lassen, beweisen die drei Partnerinnen von L-architectes, einem Büro mit 8 Angestellten in Lausanne. Alle drei haben Kinder und können und wollen keine strikte Trennung zwischen Arbeit und Familie ziehen. So erzählt die Partnerin Silvie Pfaehler, dass ihre Kinder manchmal nach der Schule ins Büro oder am Wochenende mit auf die Baustelle kämen und so am Büroleben partizipierten. Im Gegensatz zu den Büroinhabern geraten aber viele angestellte Architektinnen in eine Zwickmühle: Einerseits scheint ihr Drang, mit mehrjährigem Totaleinsatz eine eigene Firma zu gründen, nicht gleich gross zu sein wie bei ihren männlichen Berufsgenossen. Andererseits scheint ihre Erfahrung, die sie sich in den Lehr- und Wanderjahren nach dem Studium angeeignet haben, als Teilzeitangestellte nicht mehr viel wert. Die Architektin Lelia Bollinger beispielsweise musste am Ende ihres Mutterschaftsurlaubs überstürzt eine neue Stelle suchen, da sich ihr vorheriger Arbeitgeber, nach vier Monaten Bedenkzeit, noch immer nicht entscheiden konnte, ob sie Teilzeit weiterarbeiten könne. Trotz sechsjähriger Berufser-fahrung fand Bollinger in Zürich kein Architekturbüro, das sie für nur drei Tage die Woche angestellt hätte.
Die Organisation von Teilzeitarbeit bedeute einen Mehrauf-wand, so die gängige Meinung. Dagegen argumentiert An-dreina Bellorini. Die Partnerin bei Weber Hofer Architekten mit 15 Mitarbeitern meint, Teilzeitangestellte seien moti-vierter und arbeiteten konzentrierter. Selber Mutter, weiss Bellorini, dass eine Projektleitung mit einem 60-Prozent-Pensum machbar ist. Wer nicht vollzeit arbeite, müsse Flexibilität an den Tag legen und bereit sein, bei Engpässen abends oder am Wochenende zu kommen.
Mit Teilzeitarbeit hat auch Claudine Häusermann gute Erfahrungen gemacht. Sie ist Personalchefin des Büros Burckhardt + Partner, das in fünf Schweizer Städten operiert. Häusermann erklärt, dass 28 von 250 Mitarbeitern zwischen 20 und 90 Prozent arbeiten ? nicht nur im Sekretariat. Da bei Burckhardt + Partner das Pensum über eine Jahresarbeitszeit abgewickelt werde, funktioniere das und werde auch manchmal bei Neuanstellungen gemacht. Für Christian Leuner, Geschäftsleiter von Fischer Architekten mit 50 Angestellten in Zürich, ist Teilzeitarbeit wegen des hohen Zeit- und Kostendrucks in der Baubranche nicht einfach umsetzbar. Fischer Architekten bieten ihren Mit-arbeiterinnen nach der Babypause eine 80-Prozent-Stelle an. Doch laut Leuner ist das für viele ein zu grosses Pensum. Er meint, bei weniger Büropräsenz müssten die Angestellten auch bereit sein, ihre Ansprüche auf Arbeit und Lohn zu reduzieren, was wiederum fast niemand wolle.
Es scheint, dass weder Alter der Inhaber noch Bürogrösse entscheidend sind für die Haltung zur Teilzeitarbeit. Auch zeigt sich wenig gesellschaftlicher und brancheninterner Konsens, die Kriterien für und wider Teilzeitarbeit sind individuell. Die einen bringen Bürogrösse, andere Zeitdruck, wieder andere Arbeitsplatzkosten oder Ambition als Argument ins Spiel. Die unterschiedlichen Kriterien machen es schwierig für Arbeitssuchende, sich darauf einzustellen. Zudem gibt es derzeit sehr wenige Männer, die nicht Vollzeit arbeiten. Einerseits ist es für sie noch schwieriger als für Frauen, eine solche Stelle zu finden ? Kinderbetreuung wird immer noch weitgehend als Frauensache betrachtet. Andererseits können die wenigsten Vorgesetzten auf eigene Erfahrung mit Teilzeitarbeit zurückgreifen.

Vorbildliche Ämter
Verwaltungen und Hochschulen bieten mehr Teilzeitstellen. Doch auch dort sind Rollenmodelle noch immer rar. Inès Lamunière in Lausanne, und ab Herbst 2007 Annette Spiro, sind derzeit die einzigen fest angestellten Professo-rinnen für Entwurf an den eidgenössischen Architektur-hochschulen. Auch in der Praxis sind Arbeitgeberinnen (noch dazu mit Kindern) eher selten. Trotzdem scheint sich bei jüngeren Architektinnen eine leichte Verschiebung gegenüber früher abzuzeichnen: Viele sind nicht mehr bereit, sich entweder für den Beruf oder für die Familie zu entscheiden. Lelia Bollinger etwa arbeitet unterdessen beim Amt für Hochbauten der Stadt Zürich. Dort sind verschiedene Arbeitsmodelle möglich: 34 Prozent der Angestellten, die Hälfte davon Männer, sind Teilzeit angestellt, im Kader wird zu 38 Prozent Teilzeit gearbeitet. Im Amt für Städtebau belegen 61 Prozent der Angestellten, davon 48 Prozent Männer, ein Teilzeitpensum. Das Kader besteht zur Hälfte aus Vollzeitarbeitenden.
Wegen der Entscheidung für eine Familie sind viele Archi-tektinnen im klassischen Büro nicht mehr präsent. Die meisten wahrscheinlich für immer. Zu hoffen ist, dass ihre Präsenz im Architekturgewerbe und an den Architekturschulen das Berufsbild auf Dauer trotzdem verändert.

 

Text © Barbara Wiskemann

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