Kunst + Architektur 1/2008
Die drei Leben des Saffa-Hauses
Lux Guyers Musterhaus von 1928
Hrsg. Verein proSAFFAhaus und Institut für Geschichte und Theorie der Architektur
Buch, DVD und Farbkarten, gta Verlag Zürich
Für die 1928 durchgeführte Schweizer Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) in Bern entwarf deren Chefarchitektin Lux Guyer ¬– die erste selbstständige Architektin der Schweiz – ein Musterhaus. Als Holzkonstruktion vorgefertigt, war es dazu vorgesehen, nach der Ausstellung als Wohnhaus seriell hergestellt zu werden. Diesem Ansinnen war kein Erfolg beschieden, und von den 130 Interessenten blieb nur ein einziger übrig, der Hühnerfarmer Fritz Kunath aus Aarau. Er kaufte den Prototypen aus der Ausstellung, der im Herbst des Jahres 1928 zerlegt und unter der Leitung Guyers in Aarau wiederaufgebaut wurde. 1937 wurde das Haus grosszügig erweitert und blieb in diesem Zustand bis 1988 von der Familie Kunath bewohnt. Da Ende 1990er Jahre aus verschiedenen Gründen auf jenem Grundstück nur ein Abbruch in Frage kam, suchte der Aarauer Stadtbaumeister Felix Fuchs neue Nutzer sowie einen neuen Standort. Weil das Haus als Prototyp von Anfang an demontierbar und nicht für einen bestimmten Ort konzipiert wurde, schien es vertretbar, es sorgfältig zu zerlegen und ein weiteres Mal zu versetzen. Der Verein proSAFFAhaus wurde gegründet, um diese Aufgaben zu übernehmen. Er wurde in Stäfa fündig, wo die Gemeinde ein Grundstück und die Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum vorschlug. Den Wiederaufbau besorgte die Architektin Beate Schnitter – eine Nichte Lux Guyers.
Die Geschichte des fast vergessenen Hauses einer leider bis Mitte der 1980er Jahre ebenfalls fast vergessenen Architektin wird von den am Wiederaufbau Beteiligten erzählt: Begonnen beim Aarauer Stadtbaumeister Felix Fuchs über die Architektin und Präsidentin des Vereins proSAFFAhaus Rita Schiess zum Stäfner Gemeindeschreiber Daniel Scheidegger. Beate Schnitter stellt die Tücken der Rekonstruktion dar und Kathrin Trautwein spricht von der Suche nach den Originalfarben und den Möglichkeiten, diese heute herzustellen. Vorwörter des Vorstehers des gta Andreas Tönnesmann sowie von Caspar Hürlimann, Präsident des Schweizer Heimatschutzes, vervollständigen den Text-Reigen, der von einer grossartigen Zusammenarbeit vieler für das Saffa-Haus begeisterter Personen zeugt, denen man aber auch allen gerecht werden wollte.
Doch wozu dieses Buch über ein relativ bescheidenes Haus? Im spannenden Essay „Das vollkommene Haus“ beschreibt Dorothee Huber, wie Lux Guyer in diesem einfachen mittelständischen Haus das „ganz grosse Programm des Wohnens“ eher in englischer Tradition denn moderner Manier der „rationalen“ Grundrissoptimierungen und Reduktion entfaltete. Dabei kommt neben der spezifischen architektonischen Haltung eine speziell weibliche Sichtweise der Architektin zum Tragen: Als selbstständige Unternehmerin in einem Männerberuf und Hausfrau zugleich stellte sie programmatisch immer die Entfaltung der Frau in ihrem Heim als auch das Familienleben in den Mittelpunkt. Dafür entwickelte sie im Saffa-Haus eine Grundriss- und Raumtypologie, die sie später in Variationen bei einigen grösseren Wohnhäusern weiterentwickelte. Die L-förmige Halle im Erdgeschoss, die Zimmer-Bad-Zimmer-Folge, die mittels Flügeltüren verbunden werden kann und der T-förmige Atelierraum im Obergeschoss mit den beiden Seitenkojen treten leitmotivisch in einigen Häusern der nächsten Jahre auf und bilden eine ganz eigene Interpretation des offenen Grundrisses des Moderne. Auch das Thema der volumetrischen Deckengestaltung und des Gebäudevolumens werden später in verschiedenen Wohnhäusern weiterentwickelt. So erweist sich das Saffa-Haus als Schlüsselentwurf im Werk von Lux Guyer. Die unterschiedlichen Raumgrössen und -charaktere sowie die Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten sind beeindruckend – Möblierungsvarianten der Architektin verstärken diesen Einduck. Für die vielen Versuche, im momentan boomenden Schweizer Wohnungsbau neue Wohnungsformen zu finden, sind Guyers Grundrissrecherchen durchaus aktuell. Und da das Saffa-Haus in seiner rekonstruierten Form heute halböffentlich genutzt wird, können diese räumlichen Erfindungen einer ambitionierten und begabten, jedoch nicht die modernistische Reduktion feiernde Architektin heute glücklicherweise wieder besichtigt werden. Philipp Ursprungs Artikel über „das unsichtbare Haus“, der Bezug nimmt auf das Flüchtige von Grossausstellungen in der Schweiz und die Unsichtbarkeit von Frauenarbeit (an der Saffa) im besonderen fügt Hubers Beitrag spannende Aspekte hinzu.
Schnitters und Trautweins Texte zur Rekonstruktion und Restauration des Hauses und der Farben sind erhellend im Bezug auf die notwendige Akribie, wenn präzise Raumstimmungen wiederhergestellt werden sollen, um die Absicht der Architektin so genau wie möglich zu zeigen. Zudem wird die Aktualität der konstruktiven Idee des demontablen Hauses und des vorfabrizierten Holzbaus diskutiert. Die abgebildeten Werkpläne Guyers und Schnitters verdeutliche die feinen Unterschiede der alten und der heutigen Konstruktion. Durch drei beigelegte Farbkarten mit im Saffa-Haus 2006 verwendeten wunderbar heiteren Farbtönen wird diese Recherche noch bereichert.
Leider wirkt das sorgfältig gestaltete und mit Farbkarten und mit einer unnötigen Fernsehfilm-DVD (Thema: Schweizer Architektinnen) ausgestattete Buch in der Üppigkeit der Ausrüstung überinstrumentalisiert. Die vielen angeschnittenen Themen und die grosse Anzahl Artikel lassen es etwas fragmentiert erscheinen. Wer den Vergleich zum bisher einzigen und vergriffenen Buch über Lux Guyers Schaffen zieht, wird feststellen, das jener im vordigitalen Zeitalter 1983 entstandene, lehrreiche Katalog für heutige Begriffe sehr bescheiden daher kommt. Man hätte sich doch gewünscht, dass die Geschichte des Saffa-Hauses eventuell Anlass gewesen wäre für eine Aufarbeitung des Archivs von Guyer, das ja im Institut gta beheimatet ist. Zumal mit Rita Schiess, Beate Schnitter sowie Dorothee Huber profunde Kennerinnen und Behüterinnen des Werks von Lux Guyers beteiligt waren.
Text © Barbara Wiskemann