Text © Barbara Wiskemann | image source: www.wbw.ch
Werk, Bauen + Wohnen 9/2014
Flaggschiff der Nordküste
Studentenwohnhaus Aspholz in Zürich von Darlington Meier Architekten
In der Stadtzürcher Boomzone ist ein Wohnhaus entstanden, das detailreich kund tut, was gemeinschaftliches studentisches Wohnen trotz hoher Dichte und peripherer Lage heute bieten kann. Über einem städtischen Sockel mit Gemeinschaftsnutzungen erheben sich fünf Etagen mit räumlichem Reichtum im Schnitt.
In den letzten zehn Jahren wurde kräftig gebaut entlang Zürichs «Nordküste», wie das Amt für Städtebau 2004 den Grünraum mit den Katzenseen zwischen Stadtgrenze und Autobahn im Stadtteil Affoltern benannt hatte. Das jüngste Kind des Booms im Entwicklungsgebiet Ruggächern ist der Neubau für studentisches Wohnen des Zürcher Architekturbüros Darlington Meier. 336 Studierende leben hier, am Rand der Stadt.
Wie bei vielen Bauten und Siedlungen in der Umgebung handelt es sich um eine Arealüberbauung, die eine erhöhte Ausnützung ermöglicht. In diesem Fall war das Areal – das die Stadt Zürich im Baurecht zur Verfügung stellte – eine langgezogene Parzelle, die an eine hufeisenförmige Hofrandbebauung anschliesst. Ihre schmale Form schien implizit die Schliessung dieses Hofes vorauszusetzen. Die Architekten schlugen im Wettbewerb ein langgestrecktes, zweifach geknicktes Volumen vor, das durch seine zwei Knicke Selbständigkeit behauptet und gleichwohl den Bezug zum Hof nicht leugnet.
Einrichten im Lärm
Das Projekt ging aus einem Wettbewerb hervor, der ursprünglich von einer Wohngenossenschaft ausgelobt wurde und Familienwohnungen vorsah. Die lärmgeprägte Situation in Sichtweite der Autobahn schien der Genossenschaft dann aber doch zu risikoreich, worauf die Stadt das Projekt der Stiftung für Studentisches Wohnen Zürich (SSWZ) anbot, die es für die Bedürfnisse der Studierenden umplanen liess: Gefragt waren nun grosse Einheiten für Wohngemeinschaften. Dabei blieben die Charakteristika des Wettbewerbsprojekts im Grundsatz erhalten. Kernstück des Projekts ist der Umgang mit der Lärmthematik, sie bestimmt die ungewöhnliche Grundriss- und Schnittdisposition. An eineinhalbgeschossige Wohnhallen schliessen auf der lärmexponierten Westseite ebenso hohe Loggien an, deren Seitenwände zur lärmgeschützten Lüftung der angrenzenden Privatzimmer dienen. So wird die besonnte Aussichtsseite, die jedoch lärmzugewandt ist, zur Hauptwohnseite und profitiert von überhohen Räumen, die unter normalen Umständen nicht finanzierbar wären und zudem mehr ruhigen Raum auf der Hofseite generieren. So bekommen die Wohnungen eine grössere Tiefe, als es bei sogenannten „Lärmgrundrissen“ oft der Fall ist, bei denen vor allem Nebenräume an der lauten Seite liegen, und die Architekten konnten die zulässige Dichte mit sieben anstatt der erlaubten acht Geschossen erreichen.
Veritable Gross-Wohngemeinschaften
Nicht das Prinzip des Hauses, sondern der Wohnungsspiegel hat sich bei der Umplanung verändert. Aus konventionellen Familienwohnungen mit 3 bis 5 Zimmern sind zwei Wohnungstypen entstanden: Wohnungen für selbstverwaltete Wohngemeinschaften mit 7 bis 9 Bewohnern und Grosswohnungen für kurzzeitig anwesende Gaststudierende mit 13 bis 15 Bewohnern. Fünf Kleinwohnungen für Doktoranden am Südende des Erdgeschosses ergänzen das Wohnungsangebot. Fast das gesamte Erdgeschoss bleibt gemeinschaftlichen Nutzungen vorbehalten – von riesigen Veloräumen über bunte Waschsalons bis zum Mehrzwecksaal mit Bar.
Das Prinzip selbstorganisierter Wohngemeinschaften bestimmt die innere Organisation des Hauses, das von der studentischen Wohngenossenschaft WOKO verwaltet wird. Ursprünglich aus der Selbsthilfe der Studierenden entstanden, die privaten Wohnraum vorübergehend als Zwischennutzer bewohnten, bewährt es sich auch für Neubauten, da es flächensparend ist und im Betrieb auf die Selbstorganisation der Bewohnerinnen und Bewohner setzt. Diese reicht von den Sauberkeitsstandards in den gemeinsamen Räumen über die Intensität des Gemeinschaftslebens bis zur Auswahl neuer Mitbewohner.Das bedeutet: aus einem konventionellen Wohnungsbau ist eine Mischung von Boarding- und Einküchenhaus oder besser Ein-Lounge-Haus mit dem grossen Nutzungsangebot im Parterre geworden. Das ergibt einen anderen Typ von Grosswohnungen als sie zuletzt mit den Clustergrundrissen bei Zürcher Projekten wie der Kalkbreite (wbw 6-2014) oder den Überbauungen Kraftwerk 1 + 2 (wbw 4-2012) zu sehen waren. In Aspholz Süd gibt es keine zu Grosswohnungen zusammengeschlossenen kleinen Wohneinheiten, sondern veritable Gross-WGs mit einem einzigen, gemeinsamen Koch-Wohn-Essbereich.
Gestalt und Gebrauch
Die Grösse der Wohnungen stärkt die Bedeutung der überhohen Wohnräume neben den vielen identischen Privatzimmern. In den kleineren Wohnungen durchmisst dieser Hauptraum die ganze Gebäudetiefe, ist an der Ostfassade allerdings nur eingeschossig. In den kleineren Wohnungen erstreckt sich der Koch-Ess-Wohnbereich von Fassade zu Fassade. Die Küchen sind immer ebenerdig zur Wohnung und also je nach Lage zur Loggia mal im weniger hohen Ost- und mal im hohen Westteil untergebracht. Während die räumliche Vielfalt in den Wohnungen mit dem abgesenkten Wohnteil grösser ist, scheint die WG-Tauglichkeit der hohen, an der Loggia angehängten Küche besser zu sein, weil sie so entschiedener den zentralen Ort der Wohnung darstellt. In den Grosswohnungen ist diese Wirkung noch verstärkt, da der dort fast würfelförmige grosse Küchenraum klar das Highlight bildet. Mit der verglasten Wand zum hotelartigen Gang bildet der tief in den Grundriss reichende Raum das Herz der Wohnungen für 12-15 Personen, in denen kein zusätzlicher Wohnbereich angeboten wird.
Die einseitige Orientierung der Wohnnutzung nach Westen hat zur Folge, dass die Ostfassade zum Hof mit vorwiegend Schlafzimmern eher monoton wirkt, während jene nach Westen sehr lebendig und einladend ist. Glücklicherweise gibt es dank eines Wegrechts einen offenen Durchgang im Erdgeschoss, der das auf dieser Seite hermetisch wirkende Gebäude durchlässiger macht. Auf der Hofseite helfen die Knicke im Volumen nicht unbedingt, die Wucht und Grösse des Gebäudes auf einen verständlicheren Massstab hinunter zu brechen, während die klare Gliederung der Westseite einerseits in Parterre und Obergeschosse und andererseits durch die Loggientürme gut gelingt und hier die Knicke nicht notwendig scheinen.
Liebe zum Detail
Gegen die Monotonie im wörtlichen Sinn arbeitet auch die Künstlerin Shirana Shahbazi mit ihrem Kunst am Bau Projekt: Sie hat die Sonnenstoren der hohen Loggien – wieder auf der Westseite – mit einem übergeordneten, abstrakten Bild bedrucken lassen, das eine zusätzliche Ebene über die Fassade legt. Die intensive Farbigkeit wirkt sehr heiter, und die einzelnen Storen erinnern in Farbe und Muster an Flaggen, was wie ein Hinweis auf die Internationalität des Hauses wirkt – formal aber unmittelbar an das gegenwärtige Schaffen der Künstlerin anschliesst. Die Storen sind innen und aussen unterschiedlich bedruckt, sodass sich je nach Tageszeit und Lichtverhältnissen schöne Farb- und Musterüberblendungen ergeben.
Die Gestaltung derart grosser Volumen – heute oft ein Imperativ, der aus einer Kombination von Vermögen der Anleger und dem Ausnützungsbonus der Arealüberbauungen resultiert – ist eine Herausforderung. In Verbindung mit hohen energetischen Anforderungen (das Haus erfüllt die Voraussetzungen des Standards Minergie-P-eco) und engen Kostenvorgaben sind die volumetrischen Gestaltungsmöglichkeiten eng. Mit viel Energie haben Darlington Meier das grosse Volumen zu bändigen versucht, um den Studierenden mehr als eine Wohnmaschine zu bieten. Im einladenden Erdgeschoss und auf der Westseite gelingt das sehr gut. Das fängt im Sockel mit der Travertinverkleidung an, zeigt sich darüber an den prominenten Loggia-Türmen und an den Fenstern mit hellen Kunststeingewänden und den roten Fugen, mit denen sie sich vom dunklen Verputz abheben. Auch die detailreiche Innenwelt vermittelt zwischen den Massstäben sowie öffentlicher und privater Sphäre. Die gemeinschaftlichen Räume des Hauses sind mit robusten Kunststeinböden ausgestattet, die im Erdgeschoss grau, in den Treppenhäusern und den allgemeinen Teilen der Wohnung rot eingefärbt sind und diese so miteinander in Beziehung setzen, was zusätzlich mit Fenstern zwischen Küchen und Erschliessung geschieht. Die durchgehend schwarz gehaltenen Fenster, Geländer, Leuchten, Elektroapparate und erdgeschossigen Stützen setzen sich von den Böden, Wänden und Decken ab und geben dem grossen Haus eine Art Tiefenschärfe.
Die drei Waschsalons im Eingangsgeschoss mit den farbigen Waschmaschinen scheinen als informelle Informations- und Beziehungsplattformen des Hauses prädestiniert zu sein, genauso wie die Bar am Kopf des Gebäudes, die für alle Arten gemeinsamer Aktivität genutzt werden kann. Leider bleibt sie allein den Bewohnern vorbehalten. Mit ihrer langen, verzinnten Bar und dem grosszügigen Aussenraum hätte sie das Potenzial, als öffentlicher Gastrobetrieb das Haus in der Umgebung stärker zu verankern: Dem Stadtteil mangelt es an solchen Angeboten.
Noch scheinen sich Bewohnerinnen und Bewohner in Wartestellung zu befinden, und die Wohnungen wirken etwas unbehaust. Die WOKO nimmt an, dass sich erst in einem bis zwei Jahren die Haus- und Wohngemeinschaften soweit eingelebt haben werden, dass sich abschätzen lässt, wie die Studierenden das grosse Angebot interpretieren und nutzen.